Vergessene Cocktails – ein Blick in die Getränkehistorie
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Trends, Neuigkeiten, aktuelle Entwicklungen. Das sind zumeist die Themen, die die Besucher des BCB erkunden. Doch zuweilen lohnt ein Blick in die Vergangenheit, gerade wenn es ein gründlicher und wissender Blick ist.
Bereits seit 2015 betreiben Armin Zimmermann und Frank Arne Poremba von Hannover aus ihren Blog „Bar Vademecum – Wissenswertes für den Bildungstrinker“. Darin beschreiten sie genussvoll und zugleich akribisch einen Pfad, der die Freude an anspruchsvollem Trinken und zugleich den kulturellen Hintergrund des Tresengeschehens der Bargeschichte neugierig erkundet.
Zuletzt konnten die Leser des Blogs spannende Details erfahren zur Geschichte des Shakers, der Etymologie des Rums oder zur Spurensuche in Deutschland zu einem der Ur-Väter des Cocktailmixens, Harry Johnson. Anders als im englischsprachigen Raum hat die Aufarbeitung kulinarischer Historie im deutschsprachigen Raum keine ausgeprägte Tradition und das Auffinden von Quellen und Informationen kann sich als sehr mühsam erweisen. Doch womöglich sind wir auf dem Wege der Besserung!? So erschien jüngst die sehr gelungene Übersetzung ins Deutsche des wegweisenden Werks zur Bargeschichte „Imbibe“ des US-amerikanischen Cocktailhistorikers David Wondrich. Liebevoll bearbeitet wurde die Übersetzung vom Autor und Verleger Martin Stein, mit dem sich Armin und Frank sehr gerne fachlich austauschen.
Köstliche Recherche
Hinzu kommt nun die Deutsche Barkeeper-Union e.V., DBU, die sich zuletzt modern und zukunftsgewandt ausgerichtet hat und dabei den Blick in die Traditionen nicht vergisst. Auf dem BCB entwickelt sich die DBU-Bühne zu einer wichtigen Fortbildungsinstitution im Rahmen des BCB, die zu den zahlreichen spannenden internationalen Vorträgen der Messe auch den mitteleuropäischen Blickwinkel in deutscher Sprache zur Geltung bringt. Ironischerweise trug der Vortrag, um den die DBU Armin Zimmermann bat, den englischen Titel: Forgotten Cocktails. Als krönender Abschluss des letzten Messetages fanden sich die zahlreichen Besucher zu dem Vortrag ein, um dem sympathischen Getränkeakademiker mit seinem Markenzeichen, der Fliege, zu lauschen.
Internationale Vorbilder
Bewährte Bartender wissen, dass es nie verkehrt ist, immer wieder einige der Klassiker der Bargeschichte zurate zu ziehen, die auch heute noch ein genialer Ort für Inspiration sein können. So beispielsweise „The Savoy Cocktail Book“ von Harry Craddock, „The Fine Art of Mixing Drinks” von David A. Embury, “The Artistry of Mixing Drinks” von Frank Meier oder „Jigger, Beaker & Glass“ von Charles H. Baker. Wer englisch liest, ist klar im Vorteil, sind doch zahlreiche historische Cocktailbücher der letzten 150 Jahre als Reprint oder Download erhältlich und aktuelle Autoren, wie Anastasia Miller, Jared Brown, David Wondrich und Ted Haigh widmen sich konsequent dem Thema. Bars wie „The Dead Rabbit“ in New York und „Bourbon & Branch“ in San Francisco oder solche, die sich der Tiki-Epoche oder der Punch-Kultur widmen, beweisen, wie aufregend und köstlich das zeitgeschichtliche Storytelling im modernen Baralltag sein kann. Im deutschsprachigen Raum ist immerhin F.J. Beutels Werk „Die modernen Getränke“ von 1919 als Nachdruck neu aufgelegt worden und vereinzelt stoßen wir auf kuriose Indizien, die zu Erkenntnissen führen, dass Harry Johnson wohl in Berlin zu Grabe getragen wurde oder Johann Wolfgang von Goethe höchstselbst Mixgetränke zubereitete.
Harte Fakten zu kühlen Drinks
Doch leider bleibt nur allzu viel eher oberflächlich, wie wir derzeit erleben, wenn die gar nicht so „Goldenen“ Zwanzigerjahre bemüht werden, um diversen Erzeugnissen eine Aura zu verleihen, die bei genauerer Betrachtung eher klischeehaft bleibt. Dergleichen könnte Armin Zimmermann nicht passieren. Seine Auseinandersetzung mit seinem Thema ist präzise und wohl recherchiert und da, wo Erkenntnislücken verbleiben, stellt er die offensichtlichen Fragen und bietet mögliche Lösungen an. So diskutiert er mit dem Publikum den eher unbekannten „Belmont Cocktail“ aus einem Cocktailbuch aus dem Jahre 1917 des New Yorker Bartenders Hugo Richard Ensslin, der aus Gin,
Armin Zimmermann bei seinem DBU-Vortrag "Forgotten Cocktails" auf dem BCB 2023
Sahne und Himbeersirup besteht und es durchaus verdient, neu entdeckt zu werden. Gespannt lauschen die Zuhörenden auch Armins Überlegungen zu den exakten Maßeinheiten der historischen Rezepte, wenn dort etwa die Menge eines Weinglases gefordert ist. Und auch ein Dash kann, je nach Menge, ein Dash zu viel bedeuten.
Eine Session, die Neugierde weckt
Das Großartige an dem fröhlichen Vortrag bleibt, dass dort keine Showperson auf der Bühne steht, sondern ein sympathischer Aficionado, der dem Kulturgut des flüssigen Genusses auf die Spur kommen möchte und alle Anwesenden dafür ebenfalls begeistert. Nachdem Armin über den „Princeton Cocktail“, mit Old Tom Gin, Tawny Port und Orange Bitters, von 1895 und seine diversen Abwandlungen referiert, möchten alle Anwesenden sofort herausfinden, ob der Unterschied, den Port bei der Zubereitung mitzurühren oder ihn alternativ zu floaten, tatsächlich derart markant ist. Wie schön, dass die DBU das historische Thema aufgreift und in derart kompetente und zugleich sympathische Hände gelegt hat.