• 14.-16. Oktober 2024
  • Messegelände Berlin

„ Alkoholfrei ist das neue Vegan"

© Emmanuele Contini

Isabella Steiner von „nüchtern.berlin“ im Interview


Ein Späti, ausschließlich mit alkoholfreien Getränken? Wer Berlin und seine mit Bier und anderen prozentigen Produkten gefüllten Kioske kennt, mag das für verrückt halten. Aber: „nüchtern.berlin“ ist der „proof of concept“ gelungen. Das Lager platzt zurzeit aus allen Nähten und nicht nur das stationäre Geschäft mit den Produkten ohne Prozente floriert. Mit Gründerin Isabella Steiner sprachen wir über das Konzept, Zukunftspläne und was ein alkoholfreies Getränk braucht, um erfolgreich zu werden.


BCB: Isabella, wie kam es zu „nüchtern.berlin“?

Isabella Steiner: Ich habe Soziologie studiert und habe mich daher immer schon mit gesellschaftlichen Trends auseinandergesetzt. Den „Sobriety-Trend“ konnte man ab 2015 schon am Horizont sehen, vor allem in den USA und UK.

 

Dort tauchen Health- und Beautrytrends ja meist zuerst auf…

Isabella: Richtig. Ich fand das interessant. Was mir dabei aber auch auffiel, war, dass das Ganze immer quasi aus einem Problem heraus – Sucht – geboren wurde. Damit konnte ich mich wiederum nicht identifizieren. Zusammen mit meiner Geschäftspartnerin (Katja Kauf, sie ist Ende 2021 aus dem Unternehmen ausgeschieden, Anm. d. Red.) wollte ich das Thema lieber unter einem Lifestyledach angehen: Welche alkoholfreie Alternative würden wir gerne trinken? Wie muss eine Flasche aussehen, wie muss es schmecken? So entstand der Leitsatz: Was trinke ich, wenn ich nicht trinke?

Gestartet seid ihr 2019 als Contentplattform?

Isabella: Ja, wir wussten damals noch nicht, wie das Business aussehen würde, aber wir wussten, dass es auf jeden Fall ein Business wird! Also nur über das Thema zu schreiben oder Bilder zu machen, das hätte uns gar nicht gereizt. Ursprünglich wollten wir die erste alkoholfreie Messe in Deutschland machen. Wir waren in London, haben uns das „Mindful Drinking Festival“ angeschaut und haben festgestellt: Cool, hier gibt es schon viel. Das machen wir auch.

Und dann kam Corona…

Isabella: Genau, also haben wir uns überlegt, was wir stattdessen tun können. Was ganz Kleines, in Berlin – und so kamen wir auf die Idee mit dem Späti. Den kennt und versteht hier jeder. Und dadurch, dass wir schon viel Content geschrieben hatten und gut vernetzt in der – ja noch sehr überschaubaren Branche – waren, konnten wir gleich loslegen.

Zuerst habt ihr im „Halleschen Haus“ in Kreuzberg, einem Mix aus Gastronomie, Eventlocation und Einrichtungsshop, einen zweiwöchigen Pop-up-Späti gemacht.

Isabella: Um zu schauen, ob die Leute das gut finden oder ob sie lachend an uns vorbeigehen.


 

Isabella Steiner, Gründerin des alkoholfreien Spätis "nüchtern.berlin"

© Jule Felice Frommelt

Offensichtlich Ersteres.

Isabella: Deshalb haben wir nach den 14 Tagen entschieden: Wir machen das weiter, nochmal 12 Wochen in der Galerie „goeben“ in Schöneberg, mit einem ganz anderen Look. Im Februar 2021 sind wir stationär gegangen und haben dann im Bergmannkiez unseren Shop eröffnet.

Wie viele Produkte hat euer Späti zurzeit und was wird am liebsten gekauft?

Isabella: Es schwankt zwischen 170 und 200 Getränkealternativen. Wein und Sekt laufen fantastisch. Unser alkoholfreier Whisky ist auch ein Dauerbrenner. Bei dem gilt wie bei vielen Produkten: Wer einmal davon angetan ist, kauft ihn immer wieder. Interessanterweise ist die erste Frage von ganz vielen Leuten, die zum ersten Mal zu uns kommen: Ist das wirklich alles alkoholfrei?

Beim „Bar Convent Berlin“ konnte man in den vergangenen Jahren immer mehr neue alkoholfreie Produkte entdecken und probieren. Was sind denn aus deiner Sicht die Erfolgskriterien?

Isabella: Wichtig ist das Packaging. Wir haben Produkte, die wirklich gut sind, aber die Verpackung kommt einfach nicht an. Wenn jemand das erste Mal etwas Alkoholfreies kauft, entscheidet am Ende die Optik mit. Die Leute lieben zum Beispiel den „Wonderleaf“ (von den Rheinland Distillers aus Bonn, Anm. d. Red.). Der sieht hochwertig aus, er glänzt – Glanz finden viele sehr attraktiv. Auch beliebt ist der „Herbe Hibiskus“ von Dr. Jaglas, der auch ein sehr besonderes Packaging hat. Beim Geschmack ist es natürlich individuell. Mir persönlich ist es zum Beispiel wichtig, dass es schon gut riecht, wenn ich die Flasche öffne.


 

© Emmanuele Contini

Wie verhält sich der Anteil zwischen stationärem Handel und Onlineverkau?

Isabella: 40 Prozent sind stationär, 60 Prozent online. Wir kommen hier vor Ort an unsere Grenzen, der Platz reicht nicht mehr aus. Wir möchten ein externes Lager und einen zweiten Laden in Berlin eröffnen und dafür wollen wir 2022 Investoren ins Boot holen – wir sind bootstrapped (also eine Low-Budget-Gründung, Anm. d. Red.) und brauchen Geld für die Expansion. Nach Hamburg und München – dort haben wir vor Kurzem ein dreitägiges Pop-up gemacht – wollen wir auch.

Das Thema B2B spielt bei euch auch eine Rolle, wenngleich eine untergeordnete
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Isabella: Wir beliefern einige Berliner Restaurants und Bars wie das „Bonvivant Cocktail Bistro“, das „tulus lotrek“ und das neue „Lonely Hearts Cafe“, das ausschließlich alkoholfreie Cocktails auf der Karte hat. Auch hier müssen wir zuerst einmal sowohl platz- als auch personaltechnisch hochfahren. Die ersten Gehversuche im B2B funktionieren sehr gut.

 

Wie schätzt du die Entwicklung alkoholfreier Spirituosen und Drinks in der Gastronomie ein? Es gibt ja immer wertigere Kreationen abseits der berüchtigten Saft- und Sirup-Gemische.

Isabella: Oh ja, Kein „Safer Sex On The Beach“ mehr, bitte! (lacht). Alkoholfrei ist das neue Vegan: Ich sehe da viel Potential und ich denke, dass wir mit unserem Endkonsumenten-Konzept auch die Nachfrage danach verstärken, weil die Leute dann auch in der Gastronomie solche Getränkealternativen einfordern, die sie zu Hause trinken.

Nimmt es zuerst die gehobene Gastronomie eher an?

Isabella: Ja, dort ist die Zielgruppe, älter, 50 und aufwärts, die so etwas jetzt schon am meisten möchte. Aber Locations, die hochwertige, gleichwertige alkoholfreie Drinks auf der Karte haben, gibt es immer noch recht wenige. In unserem Buch „Mindful Drinking“ gibt es ja auch einen Guide mit Bars aus Wien, Zürich, Berlin und anderen Städten – das war tatsächlich der schwerste Teil beim Schreiben.

Was bedeutet die von dir genannte Gleichwertigkeit der Getränke für dich?

Isabella: Für mich persönlich ist es gleichwertig, wenn ich das gleiche Gefühl habe. Wenn ich eine Flasche Wein oder Crémant aufmache oder Freunden eine Flasche schenke, dann möchte ich den Moment wertschätzen, ich möchte ihn erhöhen. Wenn auch ein alkoholfreies Getränk das schafft, den Moment noch schöner zu machen, dann ist es für mich gleichwertig.

Ist es vielleicht sogar so, dass die Unterscheidung alkoholisch vs. alkoholfrei in dem Moment des Genusses gar keine so große Rolle spielt?

Isabella: Wenn es ein Genussmoment ist und es nicht darum geht, Wirkung zu erzielen, dann ja. Will jemand feiern gehen, einen draufmachen, dann ist das Ziel sicher ein anderes. Dem braucht man nicht mit einem alkoholfreien Produkt anzukommen. Uns geht es nicht darum zu sagen: Der Wahnsinn sitzt im Kühlschrank, hört bitte alle auf zu trinken.

Sondern?

Isabella: Kenne die Alternativen. Die gibt es, und das wissen viele einfach noch nicht. Bei der Firmenfeier das Wasser oder den Orangensaft in der Hand halten zu müssen, muss nicht mehr sein. Wenn du stattdessen einen alkoholfreien Schaumwein bekommst, dann „bubbelt“ es schön, es schmeckt, da fällt der Unterschied gar nicht mehr auf.

Dein persönlicher Lieblingsdrink?
Isabella: Der neue Aperitif „Volée“, mit Grapefruit und aufgefüllt mit alkoholfreiem Schaumwein. Schmeckt köstlich und farblich genau mein Ding,

Vielen Dank, Isabella.

 

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