Berliner Bartender-Legende Thomas Pflanz im Interview
© Hildegard Bar
Ist er der dienstälteste Bartender Berlins? Vermutlich: Seit über 40 Jahren mixt Thomas Pflanz, Jahrgang 1959, Cocktails – zuerst in West-Berliner Discotheken, dann in namhaften Bars wie dem „Lebensstern“, der „Lützow Bar“ oder der „Victoria Bar“. 2017 eröffnete er die „Hildegard Bar“ in der Marburger Straße in Charlottenburg. Und ist auch 2023, mit Mitte 60, weit mehr als nur Betreiber: Gastgeber, Teamplayer, Bartender. Was treibt ihn immer wieder an und wie blickt jemand mit so viel Erfahrung auf die Branche?Und was denkt Thomas Pflanz eigentlich über...?
… den Antrieb, immer noch hinter dem Tresen zu stehen
Leidenschaft: Kann ich nur dreimal unterstreichen. Die musst du im Blut haben, du musst mit der Nacht verheiratet sein. Du willst Präsenz zeigen und am Samstagabend für deine Stammgäste da sein. Wenn es dir zu viel wird und du das Gefühl hast, zu viele Abstriche machen zu müssen, dann kannst du es nicht mehr tun. Ich verstehe total, dass viele irgendwann nicht mehr wollen. Ich sage nicht: Ihr habt ja alle eine Macke. Die Macke habe eher ich (lacht). Aber mich zurücknehmen? Steht absolut außer Frage.
… den Unterschied zwischen angestellt und selbständig
Eine Work-Life-Balance in Anstellung ist voll unter den Hut zu kriegen. Ich habe selbst jahrelang immer nur vier Tage pro Woche gearbeitet, oft hatte ich Samstag bis Montag frei. Das war sehr entspannt. Wenn du dich selbständig machst, fällt das weg. Darum habe ich den Schritt auch lange vor mir hergeschoben. Ich wusste, was auf mich zukommt: Früher, weil ich in der Nähe wohnte, habe ich Stefan (Weber) von der „Viktoria Bar“ oft schon am späten Morgen wieder mit dem Rad zu seiner Bar fahren sehen und dachte mir: Warum macht der das? Mittlerweile geht es mir ähnlich (lacht). Gerade erst waren die Toiletten defekt, der Handwerker konnte nur um 7:30 Uhr kommen. Wer steht dann da?
… Fluktuation
Ich bedauere, dass viele nicht so lange hinter dem Tresen bleiben wollen und in die Industrie abwandern. Manchmal ist das ärgerlich: Du bildest Leute aus, ziehst sie mit und dann folgen sie dem Angebot von Firma XY, weil finanziell attraktiver. Ist aber auch verständlich, dass man, wenn man mit Mitte 30 dann eine feste Beziehung und Familie hat, raus aus der Nacht will. Viele (die in den Vertrieb für Getränke gehen) merken dann jedoch: Oh, ich muss ja auch nachts unterwegs sein und ein bestimmtes Produkt verkaufen.“
… die Motivation, mit Ende 50 eine eigene Bar zu eröffnen
Ich hatte zwar immer gute Jobs, aber oft eine anstrengende Geschäftsführung, teils mit Leuten aus anderen Branchen. Die Ausnahme ist die „Viktoria Bar“. Eine lustige Sache, weil ich vorher in der „Lützow Bar“ Stefans Vorgesetzter war und nun war es umgekehrt (lacht). Ich habe von ihm viel über Wirtschaftlichkeit gelernt. Als ich Stefan und Beate (Hindermann) erklären musste, dass ich eine eigene Bar eröffne, dachte ich, die rasten aus. Stattdessen haben sie mich von Anfang an unterstützt und mir sogar eine Eismaschine mitgegeben. Die hat noch drei Jahre durchgehalten! Wir haben den Laden in zweieinhalb Monaten komplett ausgeräumt und neu aufgebaut. Acht Kameras habe ich rausgetragen. Der Vorgängerladen war komplett überwacht.
… den Standort der „Hildegard Bar“ in Charlottenburg
Ich hatte ja schon über zehn Jahre einen Laden gesucht, mal intensiver, mal weniger, habe mir Etliches angesehen. Hier ist es ideal, weil noch nicht mit Bars überlaufen. Wir haben sehr viele Stammgäste, die kommen zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Berlin ist oft dörflicher als man denkt!
… vorbereitete Drinks und „bottled cocktails“
Vorbereitung ist eine Erleichterung. Aber ich glaube, die Leute wollen die Bartender mixen sehen. Nichts gegen die Qualität vorbereiteter Drinks. Aber es ist individueller, wenn du auf Wünsche der Gäste eingehen willst, zum Beispiel wenn jemand es etwas süßer oder stärker mag. Darauf eingehen kannst du mit fertigen Cocktails nicht mehr.
… die Corona-Lockdowns
Ich habe die Zeit auf meine Weise gut genutzt, war jeden Samstag hier und habe einen Gast eingeladen, durfte man ja. Schließlich drohte das Bier abzulaufen und ein Falernum kannst du auch nicht ewig aufheben. Viele Stammgäste habe ich auf diese Weise noch viel besser kennen gelernt.
© Hildegard Bar
… körperliche Abnutzungen
Ich hatte drei Bandscheibenvorfälle und gehe wöchentlich zu Physiotherapie, wegen der Schulter. Arthrose (zeigt einen verbogenen Finger) ist eine typische Erscheinung bei Bartendern, weil du immer mit den Händen ackerst und ständig zwischen Heißem und kaltem wechselst. Ab 50 spürst du das. Eine Zeitlang konnte ich nur mit Gurt und Schmerztabletten arbeiten. Kürzlich musste ich wegen Krankenstand zwei Wochenenden voll einsteigen. Da wusste ich wieder, was Sache ist, wenn du für 3.000 Euro am Abend Cocktails raushaust. Wenn nicht viel los ist, dann ist es leicht, schöne Drinks zu machen. Die Kunst ist, das hinzukriegen, wenn 80, 90 Leute vor dir stehen. In einer Bar zu mixen, in der wirklich was passiert – ein Mordsstress.
… Aus- und Weiterbildung in der Bar-Branche
Es schreit nach einer vernünftigen Ausbildung. Drei Monate Arbeiten an der Bar zum Ende der Ausbildung (zum/zur Hotel- bzw. Restaurantfachmann/frau) oder diese Ein-Monats-Kurse? Lächerlich. Ich konnte in den ganzen Jahren vielen Bartendern das Wissen, das ich erworben habe, Stück für Stück weitergeben und glaube, dass sie eine bessere „Ausbildung“ hatten als etwa als Azubi im Hotel, wo neue Techniken kaum eine Rolle spielen.
… sein Team
Zum Glück habe ich eines, das auch kommunikativ sehr gut ist. Meinen Leuten gelingt es, innerhalb von nur zwei Sätzen eine Verbindung mit dem Gast aufzubauen und ein Buddy zu sein, von dem man sich verstanden fühlt. Das hinzubekommen, ist echtes Gastgebertum. Es gibt Bartender, die sind gut an der Station und kennen sich mit Technik und Aromen super aus, aber die Kommunikation stimmt überhaupt nicht … ein guter Drink ist immer nur ein Teil des Erlebnisses.
© Hildegard Bar
… Wertschätzung
Angefangen habe ich damit irgendwann aus Jux. Aber ich meine es ernst und mache das meist am Wochenende: Ich drehe die Musik leiser und gehe ans Mikrofon (das in der Bar auf dem Tresen steht). Dann stelle ich jeden einzelnen Mitarbeiter vor und bedanke mich. Zum Schluss wird derjenige vorgestellt, der an der Station mixt: Der haut das ganze Zeug heute für euch raus. Oft beginnen die Gäste sogar zu klatschen. Eine Wertschätzung, die ich in anderen Läden so noch nicht erlebt habe. Und es macht allen Spaß. Es muss an unserem Umgang miteinander liegen, dass viele sehr lange hier arbeiten. Ist jemand krank, rufen wir an: Brauchst du was, sollen wir für dich einkaufen gehen? Mitarbeiter, die zu uns kommen, merken schnell, hier herrscht ein gewisser Vibe. Da steht zwar ein alter Typ (lacht), aber der nimmt gerne die Ideen von allen auf. Fünf von acht Drinks der neuen Karte kommen aus dem Team.
… die neue Karte
Der neue „Heu Gimlet“ (Wodka mit Bio-Heu infusioniert), der schmeckt wie im Heuschober. Total schön, den zu kreieren hat uns viel Spaß gemacht. Oder der „Negroni Sbagliato Ananasso“, eine großartige Variante mit Pineapple-Rum. Den „Apple Chili Daiquiri“ machen wir mit einem hellen, stückigen Mus, das fast schon ein Kompott ist. Hat eine starke Note. Beim „Funky Chicken“ haben wir lange überlegt, wie wir da das Huhn reinkriegen. Nawid (Samawat, vom „Chicago Williams“ gegenüber) hat mir geholfen. Wir haben jemanden in Brandenburg gefunden, der Jerk Chicken Barbecue macht. Den Whisky legen wir mit Pflaumen und Aprikosen ein – das passt super zum Huhn.
… den Watermelon Man (den Thomas Pflanz in den 1990er-Jahren erfand, damals trank ihn die Clubszene ohne Ende, bis heute steht er auf Karten der Bars und Clubs der Stadt)
Den mixen wir hier nur noch von Juni bis August, zur Wassermelonen-Saison. Wir setzen dafür den Wassermelonenlikör mit schöner süßer frischer Melone an. Anders funktioniert das nicht.
… Musik
Damit holen wir die Leute ab. Du merkst genau, welches Stück gerade jetzt das Richtige für den Laden ist. Wir spielen viel Deutsches, Chansons, die ruhigen Balladen von Johnny Cash oder eine Reihe von Calypso-Songs, weil gerade alle karibische Drinks trinken. Ich habe für jede Spirituose meine eigene Compilation, da ich für die Radiosendung „Barfly“ von Meryem Celik auf Radio Eins eine Zeitlang ständig Songs rausgesucht und etwas dazu erzählt habe. Spirit Radio! Mitunter provozieren wir auch mit der Musik. Dann hauen wir knallhart eine Sopranistin rein. Oder Led Zeppelin. Die jungen Gäste finden es cool, die älteren waren noch auf dem Konzert – so entstehen Gespräche und Verbindungen, viel mehr kann man ja eigentlich nicht erreichen. Das Thema Musik wird in Bars nur selten so behandelt. Da wird Housemucke gespielt, fertig. Musik sorgt bei uns dafür, dass der Laden funktioniert und dass das Team Spaß hat.
… eine Nachfolge für den Betrieb
Die ergibt sich ja meistens aus dem Team heraus. Momentan mache ich mir dazu noch nicht so viele Gedanken. Ich habe vor, die „Hildegard Bar“ noch bis 70 zu machen, sofern gesundheitlich alles gut geht. Der Vertrag läuft noch fünf Jahre, den müssten wir dann ohnehin verlängern, damit sich eine Übergabe lohnen würde. Es gab schon Angebote aus Saudi-Arabien … aber nein. Du willst ja auch, dass die Bar in deinem Sinne weitergeführt wird und es Leute mit genauso viel Herzblut machen. Und so individuell wie möglich.
Hildegard Bar
Marburger Straße 3
10789 Berlin
www.hildegardbar-berlin.de