Mein Drink ist Premium! Eine neue Trinkkultur?

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Wie hat sich unser Trinkverhalten durch die Pandemie verändert? Worauf legen Konsumenten besonders Wert und was hält die Zukunft für den Spirituosen-Markt bereit? Peter Eichhorn gibt einen Einblick.

Der britische Dramatiker N.F. Simpson philosophierte einst: „Die Realität ist eine Illusion, erschaffen durch einen Mangel an Alkohol.“ Nun erleben wir seit zwei Jahren eine sehr seltsame Realität, die sich immer mehr ins sonderbar-tragische entwickelt. Und so verändert sich auch die Situation rings um den Alkohol in diesen Zeiten.

 

Der Zapfhahn bleibt trocken, die Kehle nicht

Mittlerweile blicken wir auf zwei Jahre Covid und Lockdown zurück. Ein Zeitraum, der insbesondere für die Gastronomie und die Veranstaltungsbranche und die damit verbundenen Getränkehersteller extrem harte Entbehrungen und Einbußen bedeutete. Von Bier über Spirituosen bis zu Mixgetränken, auf dem Volksfest, zur Jubiläumsfeier und in der Stammkneipe – die Zapfhähne blieben trocken und die Bartresen verwaisten.

Dennoch wurde getrunken, diesmal eben in den eigenen vier Wänden. Und da jede Krise gleichsam auch eine Chance bedeutet, blickten die Akteure der Getränkewirtschaft sehr aufmerksam auf die Entwicklungen und die neuen Konsumgewohnheiten, die die Pandemie zutage förderte.

 

Entwicklungen und Erwartungen

Eine Vielzahl von Analysen und Studien und die damit verbunden Prognosen liegen uns zwischenzeitlich vor. Eine gute Gelegenheit, den einen und anderen Blick auf Entwicklungen und Erwartungen zu werfen.

Viele der internationalen Untersuchungen widerspiegeln zugleich die regionalen Besonderheiten innerhalb einer globalen Industrie. So blickt Großbritannien auf stark angestiegene Verkaufszahlen bei Cider, die Amerikaner widmen sich hingebungsvoll Bourbon, Rye und Tequila und einer Steigerung bei Hard Seltzer um 288 Prozent. Die Spanier hingegen kauften 45,6 Prozent mehr Bier für den Heimbedarf.

 

Wachstumszahlen im Konsumentenbereich durch Handel

Nicht vergessen dürfen wir bei diesen und den gleich noch folgenden Zuwachszahlen, dass in diesem Cocktail in gewaltiger Dash Wermutstropfen enthalten ist. Die genannten Wachstumszahlen beziehen sich ausschließlich auf den Konsumentenbereich durch den Handel, also außerhalb der Gastronomie und jenseits jedweder Veranstaltungen. Bilanzen in diesem Bereich zeigen durch Ausschankmengen oder Steuererträge ein anderes, traurigeres Bild. So verweisen in Großbritannien die Händler auf gestiegene Verkaufserlöse im ersten Jahr der Pandemie um 1,9 Milliarden Pfund im Vergleich zum Vorjahr, während aber im selben Zeitraum die Gesamtmenge des konsumierten Alkohols von zwei Milliarden Liter auf 1,3 Milliarden Liter sank.

 

Trinke weniger, aber besser

Eine Überschneidung bei den Ergebnissen sämtlicher Analysten ist markant: Wir erleben eine Zeit der Premiumisierung. Der Endverbraucher investiert gutes Geld, um sein Trinken daheim aufzuwerten.

Jüngst präsentierte Lulie Halstead, die den schönen Titel „CEO of Wine Intelligence“ bei IWSR (International Wines and Spirits Record) trägt, ihre Einschätzungen für das Jahr 2023 und darüber hinaus vor britischen Journalisten, wie „The Drinks Business“ berichtet. Halstead bezeichnet die Alkoholbranche dabei als „unverwüstlich“ und verweist auf die stetigen Wachstumsraten von Premium-Produkten, die während der Krise noch deutlich beschleunigt wurden. Sie beschreibt ein gesteigertes Bedürfnis nach Lebensqualität daheim, ausgelöst durch den Wegfall von Reise- und Ausgehmöglichkeiten: „Das Sozialleben daheim wird durch bessere Getränke aufgewertet und zu etwas Besonderem erhoben.“ Dazu kommen neue Alltagsgewohnheiten. „Konsumenten berichten uns, dass sie früher eine Flasche Wein zu Hause nicht geöffnet hätten, allein deshalb, weil sie nicht wussten, ob sie diese am Folgeabend austrinken würden, weil sie womöglich ausgehen würden und den Abend gar nicht im eigenen Heim verbringen würden.“ Und wer möchte schon eine halbe Flasche guten Weins einfach wegschütten?

 

Bewusstsein für das Hier und Jetzt geschaffen

Die Nachrichtenagentur Reuters interviewte den Chef der Kyndal Group, die Macallan Whisky und weitere Premium-Marken für den indischen Markt vertreibt, Siddharth Banerji. Er verweist auf das Bewusstsein, das während einer solchen Krise erwächst und den Menschen vor Augen führt, wie kurz das Leben sein kann und dass man das Hier und Jetzt leben muss: „Es gibt eine philosophische Haltung gegenüber dem Alkohol, bei der sich die Menschen klarmachen, dass sie jederzeit sterben könnten und dass Geld ihr Leben nicht retten wird.“

 

Jetzt wird’s teuer – 200 Dollar aufwärts

Mit dem IWSR wirft auch der wichtigste Sammler von Daten rings um die Getränkebranche weltweit einen Blick auf das aktuelle Geschehen. Deren Analysten prophezeien ein Wachstum von Flaschen mit einem Preis von 200 Dollar und mehr von jährlichen 9,2 Prozent bis 2025. Doch der IWSR Trend Report 2022 verweist auch auf eine Premiumisierung in den Bereichen Hard Seltzer und Ready-To-Drink (RTD). Zudem blickt die Studie auf ein erhöhtes Maß an Cocktail-Mixen im privaten Bereich unter Verwendung von Premium-Spirituosen.

 

High End-Spirituosen und das Mixen daheim

Eine Einschätzung, die auch Christine LoCascio, Chefin der Grundsatzabteilung des Distilled Spirits Council of the US, teilt: „Zusätzlich zu den Premiumisierungs-Trends der letzten Jahre brachte die Pandemie viele Konsumenten dazu, ihr Verhalten zu verändern, wie sie ihre favorisierten Spirituosen erwerben und konsumieren. So beobachten wir eine Verlagerung bei den Endverbrauchern hin zu High End-Spirituosen und ein intensiveres Experimentieren mit Cocktails zu Hause. Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens während der Pandemie erwies sich als Katalysator für eine bereits wachsende Kategorie im Spirituosenmarkt.“

 

Eine neue Konsumenten-Generation?

Da stellt sich die Frage nach dem Konsumentenverhalten, wenn die Covid-Situation sich normalisiert. Sicher freuen sich viele Konsumenten wieder auf das gesellige Beisammensein in der bezaubernden Atmosphäre einer schönen Gastronomie. Andere blicken sehnsuchtsvoll nach frisch gezapften Bieren und haben genug von Flaschen und Dosen. Aber wie werden die mittlerweile fortgeschritten Wein-erfahrenen Konsumenten die teilweise sehr überzogene Wein-Kalkulation der gehobenen Gastronomie quittieren?

Für den Cocktailbar-Bereich erwartet Tony Latham, CFO von Bacardi Limited eine neue Wahrnehmung: „Die Lockdowns schufen ein erneuertes Interesse an Cocktails, da die Leute mit ihren mixologischen Fähigkeiten daheim experimentierten. Wir glauben, das wird sich auswirken, indem die Menschen abenteuerlustiger und auf der Suche nach Premium, qualitativ hochwertigen Drinks sein werden, wenn sie wieder in die Bars strömen.“ 

 

Digitale Destillate – Smartphone und Spirituose

Die Analyse eines weiteren Phänomens eint die Fachleute: Die Bedeutung von E-Commerce wurde durch die Pandemie befeuert und wird auch künftig weiterwachsen. Während zahlreiche Merkmale der Premiumisierungswelle auf die Generation 55-Plus ausgerichtet sind, treten mit den Millennials und der Gen Z, die Generationen auf den Bildschirm der Spirituosenbranche, die ihren Alltag intensiv mit dem Smartphone koordinieren. Aber auch weitere Zielgruppen haben während der Covid-Krise ihre Einkäufe vermehrt online erledigt und das auch als bequem empfunden. Auch wenn der Austausch mit dem Händler des Vertrauens künftig wieder eine größere Rolle spielen wird, erlebt E-Commerce einen gewaltigen Sprung im Alltag der Spirituosenkonsumenten und gilt derzeit als das am schnellsten wachsende Segment im Bereich der „Schnelldrehenden Produkte“ (Fast-moving consumer goods).

 

Die Unberechenbarkeit von Prognosen

Doch gerade die aktuellen kriegerischen Entwicklungen zeigen uns, wie unberechenbar so manche Vorhersage einer globalen Branche wirken kann. Wie bemerkte jüngst Nils Wrage, Chefredakteur des Barmagazins Mixology, mit trauriger Ironie: „2022. Das Jahr, in dem die weltweite Bar-Gemeinschaft wieder anfing über Vodka zu reden.“

So listen etliche Händler und Gastronomen russischen Vodka aus ihrem Sortiment aus und andere internationale Anbieter nutzen die (Un-)Gunst der Stunde und springen mit ihren Vodka-Erzeugnissen in die Bresche.

 

Zukunftsforschung für Spirituosen-Markt

Im Rahmen des 20. Spirituosen-Forum des Bundesverbands der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure e. V. (BSI) im November 2021 kam ein Zukunftsforscher mit seiner Einschätzung zu Wort. Sven Gábor Jánszky, Geschäftsführer, 2b AHEAD ThinkTank GmbH aus Leipzig referierte zu dem Thema „Alle Lebenswelten 2030: So leben wir in der Zukunft“: „Im Spirituosen-Markt wird es in den kommenden 10 Jahren zu einer Zweiteilung kommen: Der Standardbereich verschwindet und es entsteht ein weitgehend digitaler Massenmarkt, in dem Kunden nach dem Preis-Leistungs-Verhältnis entscheiden. Und daneben entsteht ein ebenfalls größeres Premiumsegment, das wir Zukunftsforscher ‚Identitätssegment‘ nennen. Denn dort kaufen die Kunden Spirituosen nicht, weil sie schmecken, sondern um damit anderen Menschen zu beweisen, dass sie ‚besonders‘ sind: Besonders ökologisch, besonders heimatverbunden, besonders reich, besonders kosmopolitisch, besonders kulturinteressiert, besonders intellektuell ... usw. Je nach Kundensegment brauchen die Anbieter komplett unterschiedliche Strategien. Die wichtigste Führungskompetenz in Zeiten der Veränderung ist es, die Zukunft zu lieben, ohne exakt zu wissen, wie sie aussieht. Der Schlüssel dafür ist, den Möglichkeiten der Zukunft mehr zu vertrauen als den Erfahrungen der Vergangenheit.“

 

Also trinken wir. Auf die Zukunft!