Ganzjahrestrend Alkoholfrei unter der Lupe

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Wie gefällt euch die Tendenz, befohlene kulinarische Motto-Monate zu befolgen? Veganuary, Alcohol Free April, Dry January? Zumindest den „Sober October” werden zahlreiche Besucherinnen und Besucher des Bar Convent Berlin eher weniger beherzigen. Doch im persönlichen Gespräch und beim Studium der Verkaufszahlen wird rasch deutlich, dass die stetig wachsende Zahl von alkoholfreien Getränken Auswirkungen auf die Gesellschaft und gastronomische Konzepte aufweist.

 

Insbesondere der deutsche Markt ist führend bei den Absatzzahlen im Segment der Low-Alcohol und No-Alcohol Erzeugnissen. In einer umfangreichen Studie untersuchten die Experten des International Wines and Spirits Record (IWSR) zehn relevante internationale Märkte (Australien, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada, Spanien, Südafrika und USA) und stellten dabei im Zeitraum von 2018 bis 2022 eine Marktwertentwicklung von 8 Milliarden Dollar auf 11 Milliarden Dollar fest. Dabei stellte sich Deutschland als stärkster Markt heraus, gefolgt von Japan und Spanien.

 

Wachsende Märkte – neue Zielgruppen

Die Leiterin der No- & Low-Alcohol-Studie der IWSR, Susie Goldspink, analysiert dabei die Zielgruppenentwicklung: „Die Dynamik der no/low Kategorie bietet Gelegenheiten für schrittweises Wachstum. Konsumenten werden rekrutiert aus den Bereichen der Softdrink und Wasser. Markenbetreiber haben somit die Möglichkeit, Nicht-Trinker von Alkohol zu rekrutieren.“ (“The dynamic no/low-alcohol category presents opportunities for incremental sales growth as consumers are recruited from drinks categories such as soft drinks and water. Brand owners have an opportunity to recruit non-drinkers of alcohol.”)

Und: “Da mehr Menschen sich dafür entscheiden, Alkohol bei bestimmten Gelegenheiten zu vermeiden - oder gänzlich darauf zu verzichten – steigert no-alcohol stetig ihren Anteil innerhalb der No/Low Kategorie“ (“As more people opt to avoid alcohol on certain occasions – or abstain from it altogether – no-alcohol is steadily increasing its share of the no/low category”), so Goldspink weiter.

 

Stay Sober & Dry Dating

Hinzu gesellen sich weitere Phänomene, insbesondere der jüngeren Zielgruppe der „Generation Z“, auch Gen Z genannt, und künftig auch deren Nachfolgern, der „Generation Alpha“. Beide Zielgruppen sind für die Getränkebranche hochinteressant, da sie ihre ersten Begegnungen mit Alkohol erleben oder erleben werden und sich so die Weichenstellung für eine entsprechende Konsumenten-Zukunft entwickelt. Aktuell erweist sich noch die Generation der „Millennials“ als kaufstärkste Zielgruppe.

Die Gen Z ist massiv unterwegs in den sozialen Medien und so geben sie so manches Marketing-relevante Interesse und Trendphänomen preis. Einer ihrer aktuellen Trends ist das „Dry Dating“, also der Alkoholverzicht beim ersten Date. Hashtags wie #sober, #sobriety, #sobersex, #mindfuldrinking oder #sobertwenties verbreiten sich rapide. Untersuchungen der Dating-Apps Tinder und Hinge zeigen diese Erscheinung, bei der es bei den Dates beispielsweise darum geht, klarer auf die Option einer wahrhaftigen Beziehung zu blicken, als die Folgen einer angetrunkenen gemeinsamen Nacht kurz darauf zu bereuen.

Für analoge Leser und insbesondere Leserinnen, widmen sich aktuelle Bücher dem Thema, wie beispielsweise „Quit Like a Woman: Nüchtern und glücklich in einer Welt voll Alkohol“ von Holly Whittaker, „Chianti zum Frühstück: Wie ich aufhörte zu trinken und anfing zu leben“ von Clare Pooley oder „Unabhängig – vom Trinken und Loslassen“ von Eva Biringer. Die Mode des alkoholbefreiten weist eine deutliche weibliche Seite auf.

 

Alkoholfrei am Bartresen?

Zahlreiche Gastronomen spüren die Nachfrage der Endverbraucher und so wächst das Angebot an alkoholfreien Aperitifs und insbesondere die Kategorie der alkoholfreien Biere verzeichnet stattliche Zuwachszahlen. Auch die aromatische Vielfalt und Qualität wächst im Biersegment eindrucksvoll. Getränkehändler berichten ebenfalls von steigenden Absatzzahlern bei Endverbrauchern, die ihre Heimbar mit alkoholfreien Alternativen ausstatten und im Freundeskreis ausschenken.

Wie steht es in den Cocktailbars des Landes? Zahlreiche Bartender bestätigen eine zunehmende Nachfrage nach alkoholfreien Cocktails. Früher hatten die Barkarten oft ganz hinten eine wenig inspirierte Seite mit einem alkoholfreien Pflichtangebot à la „Shirley Temple“ oder „Virgin Colada“. Aus der Pflicht wird zunehmend eine Kür und motiviert unsere Mixologen zu neuen und durchaus aufregenden alkoholfreien Kreationen.

Die Sichtweise auf alkoholfreie Destillate erweist sich dabei noch als zwiegespalten. Für viele Bartender sind die neuen Produkte spannend und vielseitig in Longdrinks und Cocktails einsetzbar. Vornehmlich die alkoholfreien Alternativen zu Wermut, Amaro, Schaumwein und Rum lassen sich anspruchsvoll mixen. Andere Mitglieder der Barwelt verstehen zwar die stattlichen Preise der alkoholfreien Destillate, deren Herstellung mitunter aufwendiger ist als die der alkoholischen Vorbilder, vermeiden aber noch die Investition und entwickeln eigene Alternativen mit Cordials, Sirup, Verjus, Tee, Kombucha und weiteren selbst gemachten Zutaten. Auch die kürzere Haltbarkeit der alkoholfreien Produkte muss bedacht sein.

 

Neues Bewusstsein – neues Wissen

Die No & Low Kategorie entwickelt sich stetig weiter. Marktanteile, Vielfalt und Qualität wächst schier täglich. Es lassen sich neue Zielgruppen erschließen und bewährte Zielgruppen können neu stimuliert werden. Eine wichtige Unterscheidung muss uns allen bewusst sein: Steht „alkoholfrei“ auf dem Produkt, so darf noch ein Alkoholgehalt von bis zu 0,5 % enthalten sein. Verbraucherschützer hadern mit dieser Formulierung, doch auch Obstsäfte können gären und Alkohol im Saft erzeugen. Wem die 0,5 % noch zu viel sind, der muss jene Erzeugnisse beachten, die mit 0,0 % werben.

Der abschätzige Blick gegenüber jenen Gästen, die alkoholfrei bestellen, gehört jedenfalls der Vergangenheit an. Vielleicht ist jene Dame gar nicht schwanger und jener Herr ist auch nicht der designierte Autofahrer. Es gibt zahlreiche Gründe, einen Drink ohne Alkohol zu bestellen. Für Bars ist das eine neue Chance mit spannenden Drinks zu glänzen.

Alle mögen willkommen sein an unseren Bartresen, ob mit einem Negroni oder einem Nogroni.

Cheers!